Konterrevolution in Paris

Die Bourgeoisie macht zu keiner Zeit vor nichts halt

 

Vor 152 Jahren wurde die Pariser Kommune, die weltgeschichtlich erste Regierung der Arbeiterklasse, blutig niedergeschlagen. 72 Tage hatte sie sich gehalten, wandelte das „Gespenst des Kommunismus“ und versetzte den Bourgeoisverstand in Schrecken. Ein Entsetzen, das jahrelang nachwirkte. Karl Marx setzte mit der „Adresse des Generalrates der Internationalen Arbeiterassoziation über den Bürgerkrieg in Frankreich“ den „Himmelstürmern von Paris“ ein bleibendes Denkmal. Grund genug, an die „Tage der Kommune“ (Brecht) zu erinnern.  Das Programm der Kommunarden, eher spontan als bewusst entstanden, war Bestandteil von Lenins „Aprilthesen“, es inspirierte die Oktoberrevolution und den Aufbau des Sozialismus in mehreren Ländern. Die Arbeiterklasse von damals weckte der Donner der Kanonen. Die Arbeiterklasse von heute erwacht erst langsam wieder aus ihrem tiefen Schlaf, sie glaubt vielfach noch immer, dass ihre Lage sich bessern könne, indem einfach „andere Leute“ in die Rathäuser und Ministerien einziehen. Die Kapitalisten haben ein Interesse daran, dass es bei diesem mit dem Opium der Demagogie geschürten Glauben bleibt. Die Niederlage des Sozialismus wird im Bewusstsein der Arbeiterschaft nur allmählich überwunden, aber tot zu kriegen war er niemals. Selbst angesichts des Kriegsgeschreis von USA, Nato, Deutschland und EU bleibt die Klasse, ohne die es keinen Ausweg gibt, noch weitgehend passiv.

 

Im Unterschied zu heute war die Zeit im Jahr 1871 noch nicht reif für die Beseitigung des Kapitalismus. So meinte Friedrich Engels, dass die Kommune gezeigt habe, wie der Arbeiterklasse die politische Herrschaft „ganz von selbst, ganz unbestritten in den Schoß“ fallen könne, aber auch, „wie unmöglich“ damals „diese Herrschaft der Arbeiterklasse“ war. Am 28. Mai 1871 fiel die letzte Barrikade der Kommunarden. Nach einer Woche furchtbaren Gemetzels war Paris rot vom Blut der Arbeiterinnen und Arbeiter. Dreißigtausend Kommunarden getötet, sechzigtausend Revolutionäre in die Kerker geworfen oder zur Zwangsarbeit in den Strafkolonien verurteilt und damit in den sicheren Tod geschickt. Das war die erschütternde Bilanz eines bis dahin beispiellosen konterrevolutionären Terrors. Die Blutgier der Bourgeoisie ließ selbst den Massenmord nach der Niederlage des Juni-Aufstandes von 1848 vergessen. Damals zeigte die Bourgeoisie „zum ersten mal, zu welcher wahnsinnigen Grausamkeit der Rache sie aufgestachelt wird, sobald das Proletariat es wagt, ihr gegenüber als aparte Klasse mit eignen Interessen und Forderungen aufzutreten. Und doch war 1848 noch ein Kinderspiel gegen ihr Wüten von 1871“, urteilte Engels. Nie wieder sollte der Pöbel so radikal nach der Macht greifen und das bürgerliche Privateigentum angreifen. Die Kommune war uneins hinsichtlich Enteignungen und sie war zu gutmütig. „Wenn wir Zeit gehabt hätten! Aber das Volk hat nie mehr als eine Stunde. Wehe, wenn es dann nicht schlagfertig, mit allen Waffen gerüstet, dasteht“, meinte ein Delegierter der Kommune. Bewiesen wurde damals und immer wieder, dass die Bourgeoisie niemals zu befrieden ist,  „dass der Klassenkampf“, wie Lenin hervorhob, „unter bestimmten Bedingungen die Form des bewaffneten Kampfes und des Bürgerkriegs annimmt.“

  

Die Pariser Kommune war die Antwort auf verantwortungslose Kriegsabenteuer, blindwütige Schuldenmacherei und das Verheizen von mehreren Zehntausenden Menschen und unglaublichen Ressourcen. Bismarck, der nicht in Paris einmarschierte, erwies sich als Klassenkomplize der französischen Bourgeoisie. Er lieferte die Hinrichtungstruppen. Wie stets verschärfte der Krieg die Klassengegensätze. Deshalb sollte durch eine Politik der „Pazifizierung“ der Kampfeswille der Arbeiterklasse gelähmt werden. Parallelen zur Gegenwart drängen sich auf. Auch hinsichtlich der zeitgenössischen Gräuelpropaganda, die der Antikommunismus bestimmte, und die selbst Provokationen von der Art eines Reichstagsbrandes, also Brandstiftungen, nicht ausschloss.

 

Die Kommune von Paris kündigte etwas Neues in der Geschichte an: die Diktatur des Proletariats. Sie war der erste Versuch, die bürgerliche Staatsmaschine zu zerschlagen und durch einen neuen Typ von Gemeinwesen zu ersetzen. Die werktätigen Massen haben ihre Revolution erstmals mit sozialistischem Inhalt erfüllt und unabhängig von den Ansichten und Absichten ihrer Führer verwirklicht. Karl Marx erkannte in der Kommune einen „neue(n) Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit“. Friedrich Engels sah ihre historische Größe in ihrem „eminent internationale(n) Charakter“, ihrer „Kampfansage an jede Regierung von bürgerlichem Chauvinismus“. August Bebel erklärte im Reichstag den Kampf in Paris zum „Vorpostengefecht“, da die Hauptsache in Europa noch bevorsteht. Lenin galt die Kommune als unsterblich, weil ihre Sache – „die Sache der sozialen Revolution“ sei. Die Stellung zur Kommune wurde zum Prüfstein für revolutionäres Handeln.

 

Wer heute die marxistische Kritik an der Kommune verachtet, die zeitweilige Niederlage des Sozialismus in mehreren Ländern dafür als Rechtfertigung nimmt, will nicht wissen, warum die Kommune unterlag. Will auch nicht wissen, warum sein Denken und Handeln gerade das Gegenteil vom Geist der Kommune ist. Wer aber die Klassengesellschaft und ihre politische Ordnung zum Teufel wünscht, wer weiss, dass der Terror der Bourgeoisie auch vor dem Faschismus als Staatsform nicht halt macht, dass er grenzenlos sein kann, für den ist es eine Ehrenpflicht, sich mit dem Erbe und den Lehren der Pariser Kommune zu befassen, auch wenn die Klassenkämpfe von heute im Unterschied zu damals weltumfassend geworden sind. „Die Kommune ist nicht gestorben!“ (Eugène Pottier)

 

Herbert Münchow