Kulturelle Barbarei – oder die Auswirkungen von Zensur

Sitze bei etwas unter einem Grad Habeck Raumtemperatur und beginne endlich mit den schon lange seiner Realisierung harrenden Arbeiten über die Zensur.

Die mediale Inquisition gegenüber Autoren, Journalisten, Schriftstellern und Politikern ist Realität. Leider. Ja, sie machen selbst vor politischen Verfolgungen nicht Halt. Sie überwachen permanent die wenigen noch vorhandenen Publikationen Andersdenkender. Beispiele hierfür sind das Verbot nahezu sämtlicher russischer Medien.

Die Beobachtung der „Jungen Welt“ durch den Inlandsgeheimdienst sowie verbale Entgleisungen gegenüber Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer oder Michael Kretschmer. Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer sprechen nur von der Notwendigkeit des Friedens. Herr Kretschmer hatte sich lediglich erlaubt von einer Nachkriegszeit zu sprechen. Ansonsten sind sie ja auf Kurs. Man sieht, die Spielräume politischer Überlegungen engen sich ein. Beängstigend, weil hier nur noch eine Wahrheit zugelassen ist.

Hier eine der 1944 entstandenen kleinen Anekdoten aus Friedrich Wolfs „Doktor Wanner“

„… Dr. Wanner: Was ist denn hier geschehen?

Lilli: Nichts besonderes als das, was überall hier geschieht. Wenn hier zum Beispiel einer sagt, was er sieht und was ihm geschehen ist, so ist das eine Lüge…“

Wie im Mittelalter gibt es nur eine Wahrheit, einen Glauben. Die Erde ist eine Scheibe. Wer Anderes denkt oder gar ausspricht lebt gefährlich. Und… sie dreht sich doch!

Vorreiter politischer Zensur war schon immer Deutschland. Nicht dass andere Staaten dies nicht auch praktizierten, aber Deutschland ist speziell.

Fürst von Metternich gelang es, oder besser gesagt er war der Initiator, im Deutschen Bund einheitliche Zensurregelungen einzuführen. Die Argumente damals sind mit denen von heute nahezu denkungsgleich. Bei der Karlsbader Tagung 1819 (6. August) wurden entsprechende Maßnahmen festgelegt. Die Höfe fürchteten sich vor revolutionären Umtrieben. Schlussfolgerungen der Ursachen bezogen auf ihre persönliche Situation der einfachen Menschen, die sich aus freiem Zugang zu Informationen und Bildung ergeben, sind zu unterbinden. Die Infragestellung der herrschenden Verhältnisse sind denen gefährlich. In Lenins „Staat und Revolution“ heißt es dazu sinngemäß, dass es einzig nur darum geht die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegenüber einer verschwindend geringen Minderheit hörig zu halten. Zurück zu Metternich, Deutschland bestand seinerzeit noch aus 32 kleinen Staaten. Es gab unterschiedliche Währungen und Maßeinheiten. Aber ein einheitliches Zensurgesetz. Die Autorin Dagmar Henn stellte in ihrem Aufsatz „Die Wiedergänge des Fürsten Metternich“  fest, dass zwischen damals und heute sich herzlich wenig geändert hat.

Die Karlsbader Tagung fand vor 200 Jahren statt. Mein Gott, wie haben wir uns weiter entwickelt. 
Sie haben Angst. Sie haben Angst vor wahrer und direkter Demokratie. Sie fürchten sich vor Wahlurnen. Darum bekämpfen sie andere Meinungen! Meinungen die eben dazu führen können die von „oben“ bestimmten Gegebenheiten zu hinterfragen.

Nehmen wir Friedrich Hegel, ein Anhänger der französischen bürgerlichen Revolution und Verfechter der Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Als er dann in Preußen eine Professur annahm, verwundert es natürlich nicht,  dass ihn Geheimpolizisten auf Schritt und Tritt überwachten. Ja, man schickte Spitzel in seine Vorlesungen und bei Wikipedia heißt es dann, „sogar preußische Staatsbeamte besuchten seine Vorlesungen…“

Schon seit lange vor dem Ausbruch literarischer Barbarei in Deutschland im Jahre 1933 blicken wir auf eine Ahnenreihe verbannter Schriftsteller. Einige davon: Johann Joachim Winckelmann nach Italien, Georg Foster, Paris, Zschokke oder Christian Wolf, Schweiz.

Der Exodus nahm dann aber ab 1933 so richtig an Fahrt auf. Stellvertretend aus der langen Reihe geflüchteter und vertriebener Schriftsteller: Willi Bredel, Anna Seghers, F.C. Weiskopf, Friedrich Wolf, Bertold Brecht, Hans Beimler oder der Journalist und Autor Hans Maassen.

Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als mit der Kolonialisierung der DDR tonnenweise sozialistische und antifaschistische Literatur aus unseren Bibliotheken geholt und auf Müllhalten gefahren wurde, musste ich an die barbarischen Akte des 10. Mai 1934 denken. Aber nein, Geschichte wiederholt sich nicht, sie kehrt nur in unterschiedlichen Sequenzen wieder, könnte man manchmal meinen. 

Und heute? Dagmar Henn, Thomas Röper, Ulrich Heyden, Alina Lip, Liane Kilinc und viele, viele mehr mussten fliehen. Diejenigen die Deutschland verlassen, sei es weil sie müssen oder weil sie es hier einfach nicht mehr länger aushalten, sind mit einem Schlag entwurzelt. Sie finden sich unter völlig anderen Lebensbedingungen wieder. Es steht uns genügend Literatur zu den Erfahrungen emigrierte Schriftsteller und Künstler besonders aus der Zeit 1933 bis 1948 zur Verfügung. Sie waren nicht überall willkommen. Für Emigranten war es in Frankreich und der Schweiz besonders schlimm. Eindrücke vermitteln Erich Remarques Arc de Triumphe oder Nacht von Lissabon. In der Schweiz hatten Viele mit Publikationsverboten zu kämpfen, es drohte die „Ausschaffung“ oder Haft. Von was sollten sie leben? Asyl bekamen ironischer Weise nur Diejenigen, die mit „ihrem Lande“ im „Reinen“ waren. Heißt, die Nazis, die Häscher, die konnten sich in diesen Ländern frei bewegen. Deutsche Literatur ließ sich im Ausland schwer verkaufen. Anfänglich wurden Werke emigrierte Schriftsteller noch nach Deutschland geschmuggelt. Ein gefährliches Unterfangen für Schmuggler und Leser. 

Damals in Karlsbad wurde nicht nur die Zensur deutscher Publizisten verabredet, sondern auch Verbote ausländischer Schriften so sie nicht ins aktuelle Narrativ passten.

Kürzlich durchstöberte ich eine Thalia Filiale und fragte die Verkäuferin ob sie den Willi Bredel „Der Spitzel“ oder Wolfgang Langhoff „Die Moorsoldaten“ oder vielleicht Arnold Zweig „Der gelbe Fleck“ habe. Sie schaute mich genauso an, als habe sie von solchen Büchern noch nie in ihrem jungen Leben gehört. Bei meiner Frage nach irgendetwas von Anna Seghers erhellte sich ihr Gesicht.“… Aber leider haben wir gar nichts von Anna Seghers…“ Nun, ich konnte nicht ohne Spott den Laden verlassen.
Antifaschistische Literatur gibt’s nicht, dafür aber „Putins Netzwerk“  oder „Intrigen, heimliche Herrscher“ von den ARD Journalisten Pittelkow und Riedel. Die literarische Landschaft scheint mir in diesem Lande doch recht, sagen wir mal, überschaubar zu sein. Wieder erinnere ich mich beim schreiben dieser Zeilen an Hegel der einst feststellte, den Zustand einer Gesellschaft erkennt man an derer Kunst und Kultur die sie hervorbringt.

Da wird uns dann wohl noch Einiges erwarten…

Rainer Hesse
Volkskorrespondent