Welch hohes Gut war es damals, die “Freiheit”, für die 2000 Inhaftierten des „wilden Konzentrationslagers“ Sachsenburg, nahe Frankenberg – besungen im „Lied von Sachsenburg“.
Das soll keine Frage sein – ein Fragezeichen verbietet sich von selbst.
Die Schutzhäftlinge (Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter) zogen ein unter Verlust aller bürgerlichen Rechte, einschließlich des Rechts auf politische Betätigung und Zusammenschluß, Verlust der öffentlichen Meinungsäußerung. („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom März 1933)
Ein Recht auf „körperliche Unversehrtheit“ kannten die Menschen damals noch nicht, aber verdient hätten sie es schon, nachdem sie sich für demokratische Rechte in der Gefährdung der Weimarer Republik einsetzten, auch angesichts der schrecklichen Auswirkungen des 1. Weltkrieges auf Psyche und Physis.
Das waren nun ab 1933 in Sachsenburg z.B. die vorgeschriebenen 15 min „Frühstück“, ohne Zeit für Lesen und Schreiben einiger Zeilen an die Familie daheim, denn harte “Arbeit” bestimmte denn Tagesablauf.
<span;>Das war der ständig beaufsichtigte, bewachte und ständig von Drangsalierungen unterbrochene Schlaf in der “Spinnerei”, in der auch die SS – Wachmannschaft ihre Unterkunft hatte. Das waren die kargen Mahlzeiten, zu deren lebenserhaltende “Ergänzung” man gezwungen war, zu stehlen. Das war der unvermeidliche ständige Gang zu einer der knappen Klos im Wechsel mit dem Griff zum Löffel – damit man arbeiten und überstehen konnte. Das waren Schläge und tägliche Machtdemonstrationen.
Organisatorisch gehörten zeitweise das KZ Colditz, ein früheres KZ Augustusburg dazu, zugleich auch hunderte kleine Haft – und Folterstätten – bis die Nazi Putschisten entsprechende “Rechtssicherheit”, Ableitungen aus bisherigen Vorschriften von Polizei – und Justizordnungen), schufen. (Lagerordnung 1933/1934)
Aber was nützen selbst auf den Informationstafeln sichtbar gemachte Zeitzeugenberichte im Gelände, wenn Spaziergänger und Ausflügler im ebenso gut ausgeschilderten Zschopau Tal mit Rucksack und Fahrrad frohen Mutes, einen schönen Tag zu haben, regelrecht daran vorbei defilieren, ohne diese leidvollen Erfahrungen früherer Mitmenschen eines Blicks zu würdigen.
Unter ihnen Bruno Apitz, Walter Janka, Bernhard Kuhn, Hans Sachs, Pfarrer Ludwig Kirsch – Ihre Porträts mit QR-Codes wären am früheren Zugang zum KZ zu sehen gewesen.
Einer der Pfingstwanderer samt Kind und Kegel kommentierte den kleinen Erinnerungsstein an die 2000 Inhaftierten auf Höhe der pfingstgemäß geöffneten Schlossmühle und nahe der verschlossenen Tür zum mächtigen Gebäude der “Spinnerei” immerhin eine Verbindung zur jetzigen Zeit: „Hier könnten unsere Politiker ja auch ein KZ bauen…“ (Pfingstmontag, 29.05. 2023 gegen 9.45 Uhr).
Jana von Kassel (Sophie Scholl) lässt grüßen. Das Plakat aus der Zeit der Pandemie an der Chemnitzer Limbacher Straße mit der Aufschrift: “Nach 1933 waren alle tot!” ist mir eine bleibende Erinnerung!
Hätte dieser Besucher die Inschrift am allerdings etwas entfernten Mahnmal gelesen:
„Und setzet Ihr nicht das Leben ein, nie wird Euch das Leben gewonnen sein“ (Friedrich Schiller/Wallensteins Lager), hätte ihn wenigstens eine der Botschaften dieses Lern – und Erinnerungsortes erreicht.
Scheinbar stehen Heimatliebe, Kontaktfreude, Geschichtskenntnisse, unbeschwertes Zugehen auf Menschen – Tugenden für Sachsens neu auflebende Monarchie von Rosenprinzessinnen, Waldköniginnen, Spitzenprinzessinnen, Vugelbeerkönigin und und…… (FP + 26.05. 2023) in höherer Gunst?
Dagegen haben es QR-Codes für Handy und Tablet, stilisierte Informationsstelen mit authentischen Fotos und Text und sichtbare Denkmäler, selbst mit frischem Blumenschmuck versehen, an einem solchen Ort ungleich schwerer?
Von 1974 bis 1989 befand sich auf dem Gelände des KZ Sachsenburg eine Gedenkstätte, personell besetzt und betreut – angeblich meist “nur” von Pflichtbesuchen frequentiert, so der Text auf einer der Tafeln, die im Schatten eines der vielen Gebäude auf die Schnelle nicht gleich gefunden werden kann.
Als die Treuhand ihre gierige Hand auch nach der Fabrik ausgestreckt hatte, hielt man nach dem Ausverkauf der DDR-Wirtschaft die Schaffung von Arbeitsplätzen für aussichtsreicher als irgendeine Erinnerung an eine Zeit, die von den „DDR-Oberen laufend den Kommunisten zugeschanzt wurde“. Das wollten auch jene, die lieber ungestört ihre „Sommerfrische“ in Nähe der „Spinnerei“ verbringen.
Liest man am sichernden Bauzaun vor dem Standort der gegen alle Widerstände abgerissenen Kommandanten Villa, eines der letzten Täter Zeugnisse, vom erfolgreichen Abriss der “Fabrikantenvilla auf dem Gelände der Spinnerei Sachsenburg”, von einer Brachflächenvitalisierung – und Beräumung, so könnte gerade die Anti-Erinnerungs-Lobby Recht bekommen haben.
Gäbe es nicht die LAG Sachsenburg, Geschichtswerkstatt und viele andere Aktivisten aus anderen Landesteilen, die jetzt offiziell in der Presse als „Bürgerrechtler“ bezeichnet werden.
Der Erinnerungs – und Gedenkort in Sachsenburg hat eine wechselvolle Historie, in jeder Hinsicht und verdient es gerade deshalb, mit allen Facetten, mit allen Erfolgen und Niederlagen, den Platz im kollektiven Gedächtnis zu sichern und jeden Verlust daraus zu verhindern – auch zum Preis, zunächst als ewig Gestrige zu gelten und dass es Mühe kostet.
Es ist eben nicht vorbei, wie die aus Chemnitz stammende Schriftstellerin Rose Nyland in einem ihrer Gedichte mahnt, „eingedenk dunkler deutscher Jahre, im Kampf um alles Gute, Schöne und Wahre.“
Die Menschen werden dort sehenden Auges gebraucht.
Sachsenburger Dialog Sa. 3.Juni 2023 bis So. 4.Juni 2023: https://slag-aus-ns.de/termine/03-06-und-04-06-2023-sachsenburger-dialog/
Peter Blechschmidt